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Vom Pfeiferkönig und von der freien, ritterlichen Kunst

Bis zum «Übergang» von 1798 kannte die bernische Infanterie keine andere Marschmusik als die der Trommler und Pfeifer.

Die Rekrutierung des Nachwuchses an solchen Tonkünstlern war namentlich auf dem Lande nicht leicht. Diese Spielleute erfreuten sich daher gewisser Vorrechte. In alter Zeit bildeten sie sogar eine eigene Bruderschaft mit eigenem «König». Als solcher amtete gemäß einem 1507 erteilten obrigkeitlichen Privileg (Freiheitsbrief) einer der bernischen Stadtpfeifer. An den Zusammenkünften der Bruderschaft wurden «berufliche» und organisatorische Fragen behandeW wie überall, und der bernische Polizeidirektor und Generalprokurator (Oberstaatsanwalt), der den Titel Großweibel führte, war jeweilen von Amtes wegen dabei. Der Großweibel war nämlich bei wichtigen Staatshandlungen, z. B. bei den Regierungs- und Großratswahlen, oberster Zeremonienmeister; daher führte er die Oberaufsicht über die Spielleute, die bei solchen Anlässen ebenfalls amtliche Funktionen zu erfüllen hatten.

Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein erhielten die Pfeifer und Trommler alle paar Jahre vom Staate Tuch in den Landesfarben schwarz und rot, zudem eine kleine alljährliche Gratifikation in Getreide oder Bargeld. Einzelne Städte oder Landschaften legten Wert darauf, daß die Spielleute nicht rot und schwarz, sondern in den örtlichen Farben gekleidet waren, so etwa in Burgdorf schwarz und weiß. Derartige Sonderwünsche ließ die Regierung ohne weiteres gelten, weil es sich um alte örtliche Vorrechte handelte.

In der Hauptstadt selber fanden tüchtige Trommler und Pfeifer stetsfort ihr gutes Auskommen, wogegen indessen, nebenbei bemerkt, die Stadt für eigentliche Orchestermusiker und Solisten bis gegen

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1800 ein recht unfruchtbarer Boden war. Den städtischen Spielleuten schaffte die Obrigkeit nicht selten für schweres Geld gute neue Instrumente an. Stellensuchende Spielleute aus der Fremde wurden, wenn just kein Bedarf vorlag, doch wenigstens mit einem ansehnlichen Geldbetrage, mit währsehaften Kleidungsstücken oder mit Tuch zu solchen verabschiedet. Lag Bedarf vor, so ließ man die Kandidaten durch die Fähigsten unter den vorhandenen Stadtmusikanten prüfen. Nachher durften sich Examinatoren und Prüflinge gemeinsam auf Staatskosten eine reichlich bemessene Mahlzeit in einem guten Wirtshause der Stadt zu Gemüte führen.

Die ländlichen Pfeifer und Trommler waren von Beruf meist Handwerker; hie und da einer Knecht oder Tauner. Doch erlernten mitunter auch gutsituierte Bauernsöhne die schwere Kunst des Pfeifens oder Trommelns, um bei festlichen Anlässen wie: Auftritt eines neuen und Abzug eines alten Landvogts, Landmusterung, d. h. Waffeninspektion, oder Installation, d. h. Amtseinsetzung, eines neuen Pfarrers, im hochangesehenen rot-schwarzen Kleide Parade zu stehen oder dem festlichen Zuge voraus zu marschieren. Schaurig-eindrüeklich nahm sich das Musizieren der Spielleute andererseits bei öffentlichen Hinrichtungen aus.

In der Gegend an der Grünen waren Trommler und Pfeifer erst noch besondere Respektspersonen, wenn sie bei festlichen und zeremoniellen Anlässen der «Landschaft Emmental» (einer Art Landsgemeinde der vereinigten Ämter Trachselwald, Sumiswald und Brandis) mitwirkten. Ihres Ehrentitels eingedenk, brachten dabei die emmentalischen «Landpfeifer» und «Landtrommler» auf ihre Weise ebensoviel Würde und Selbstbewußtsein auf, wie der Landeshauptmann, der Landessäekelmeister oder der Landesfähnrich, der die Fahne mit Tanne und Stern trug. Landpfeifer Ulrich Eggimann zu Sumiswald setzte 1734 in sein selbsterfundenes, persönliches Wappen über die bäuerliche Pflugschar zwei gekreuzte Querpfeifen. Ob er die Pfeife links blies wie später ein Namensvetter und angesehener Gastwirt, ist nicht überliefert; unmöglich wäre es nicht, denn eine Zeichnung von ca. 1700 im Berner Staatsarchiv zeigt einen Militärpfeifer, der sein Instrument ebenfalls links spielt.

Bei aller Würde, allem berechtigten Standesbewußtsein, war das Musizieren der Trommler und Pfeifer, der eigentlichen Spielleute, doch keine «freie, ritterliche Kunst». Diese ehrende Bezeichnung

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kam nur dem Trompetenblasen zu. «Liebe und Trompetenblasen nützen zu viel guten Dingen», singt Scheffel in seiner Verserzählung vom jungen Werner von Säckingen.

Die Hauptaufgabe der, wie schon gesagt, fest angestellten und gut besoldeten Stadttrompeter war, bei gegebenen Anlässen, namentlich an kirchlichen und weltlichen Fest- und Feiertagen, von den Stadttürmen herab zu blasen. Zu eigentlichen gottesdienstlichen Verrichtungen wurden sie jedoch nicht beigezogen. Wie die Trommler und Pfeifer, die Weibel, die Läufer, die «Überreuter», waren die Trompeter Staatsdiener, welche die Macht und Autorität des Staates zu verkörpern hatten — wie heute einzig noch der Standesweibel, der bei besonderen Anlässen im rot-schwarzen Kleide und mit dem Szepter in der Hand den Mitgliedern der Regierung voranschreitet oder sich hinter dem eine offizielle Rede haltenden Regierungsmann aufstellt.

Demgemäß verwendete der bernische Staat seine Trompeter alsSignalisten im Armeestab, als Begleiter von Standespersonen aufReisen und, wie schon ausgeführt, als Parlamentäre im Kriege.

Wie die Pfeifer und Trommler, so waren natürlich auch die Trompeter in der deutschen Schweiz und im weiten deutschen Reichs-gebiete zunftmäßig organisiert, in einem straffen, obligatorischen Verbande zusammengeschlossen. Die «Aufdingung» (Annahme) eines Lehrjungen und seine «Ledigsprechung» am Schlusse der Lehrzeit gingen unter altüberliefertem, pomphaftem Drumunddran vor sich, kosteten daher viel Geld; und auch das Lehrgeld war sehr beträchtlich, nicht weil der Unterricht besonders mühsam gewesen wäre, aber eben: der Vornehmheit wegen. Den Gesellen. oder Wanderjahren der Handwerker entsprach die Teilnahme des Jungtrompeters an militärischen Unternehmungen, meist im Auslande.

In der Zeit um 1670 schickte die bernische Regierung zwei Trompeter, die Brüder Peter und Sebastian Stocker, zur Ausbildung gar für eine Zeit ins Ausland: in die Pfalz und an den hessen-nassauischen Hof. Dort lernten sie das Benehmen und «die Manieren», wie sie in fürstlichen Kreisen üblich waren; selbstverständlich auch die zu solcher Vornehmheit passenden Musikstücke. Heimgekehrt, erhielten die zwei Brüder sogleich ihre gute Anstellung als Stadttrompeter und «Reuter» (berittene Boten zur Überbringung wichtiger Schreiben ins Ausland). Da ihnen aber trotz der beiden Ämter ziem-

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lich viel freie Zeit zur Verfügung stand, fingen sie an, sich als Unterhaltungskapelle zu betätigen, und zwar bei allen möglichen Anlässen, wie es sich eben traf. Die Regierung gab ihnen zu verstehen, es sei eines Trompeters unwürdig, «sich verachtlich gemein zu machen». Standesgemäß sei einzig das Blasen an Hochzeiten von Kindern von Regierungsmitgliedern oder Großräten, sowie an andern Festlichkeiten gleichen Ranges. In der freien Zeit, so wurde den beiden Trom-. petern eingeschärft, müsse geübt und «jederweilen was Neues gelernt» werden.

Doch dieser Rüffel war eine Ausnahme. Die Stadttrompeter wußten ja von selber, was sich ziemte, und sie handelten meist auch danach. Immerhin taucht in den Akten einmal einer auf, ein Hoffartsnärrlein, offenbar noch jung; der versäumte das Blasen ab dem Turme ob dem Stolzieren Lauben hinauf, Lauben hinunter, wo er seine nach allerneuestem Schnitt gebauten Hosen dem staunenden Volke spienzelte...

Die Redensart «öppis nstrompeete» ist noch heute nicht ausgestorben, obschon ihr ursprünglicher Sinn in Vergessenheit geraten ist. Im 17. Jahrhundert, besonders in der leichtlebigen und rauhen Zeit des Dreißigjährigen Krieges, war in Bern, und wohl auch anderswo, das «Austrompeten und Stadtabschmeizen» eine häufig angewendete Strafe für liederliche fremde Weibsbilder und für fremde Mannsvölker von ähnlicher Gesinnung. Solches Pack pflegte man, zum höchlichen Ergötzen des Gassen- und Laubenpublikums, die Stadt hinab und zum unteren Tor hinaus zu führen, wobei der Scharfrichter auf dem ganzen Wege, mitunter zwar mit Unterbrüchen, den entblößten Rücken und die Schultern der Sünderin oder des Sünders kräftig mit Ruten «schmeizte». Voraus marschierte mit warnendem «Trä-rää-rä» ein Stadttrompeter, begleitet von zwei Weibeln. Der Gefangenenwärter, Buchbinder, Einrahmer, Maler, Zeichner und Verseschmied Hans Jakob Düntz hat in seinen «Lochrödeln» mehr. mals solche Szenen oder Einzelheiten daraus festgehalten. Für die gehabte Mühe lohnte die beteiligten Staatsdiener nachher ein tüchtiger Schluck Staatswein.

«Vornehm sein heißt, sich rar machen ! » diese Lehre, den vorhin erwähnten Brüdern Stocker von höchster Stelle beigebracht, prägte sich namentlich auch aus in der Vereinbarung der Trompeterbrüderschaft, daß ein ausgelernter Bläser erst nach einer Wartezeit von sieben Jahren einen Lehrling annehmen dürfe. Vielleicht spielte aber auch die kluge Überlegung mit: «Wart mit Lehrbuebebschuele, bis de dyr Tudere sälber ganz Meister bisch ! » Denn die ventillose Trompete jener Zeit, dem französischen Clairon ähnlich, scheint ein heikles Instrument gewesen zu sein, das seine Tücken hatte.

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