ERSTES KAPITEL

  AUS DER GESCHICHTE DER BLASMUSIK

IM BERNBIET

Zwei Trompeter reiten nach Genf

Das schmucke, gewerbefleißige Emmentaler Dorf Sumiswald kann sich nicht nur der ältesten Sekundarschule im Bernbiet rühmen, sondern auch der ältesten Musikinstrumentenindustrie im Kanton und, in einigem Zusammenhang damit, der ersten nicht zu kirchlichen Zwecken bestimmten Blasmusikvereinigung der bernischen Landschaft

Aber dieses Alter ist noch kein hohes; es reicht rund anderthalb Jahrhunderte zurück, also etwa fünf Generationen. Bevor wir jedoch näher untersuchen, wie unsere Urur- und Urgroßväter die gesellige Blasmusik kennen lernten und liebgewannen, müssen wir Umschau halten in noch weiter zurückliegenden Zeiten, müssen wir untersuchen, wie es einstmals in bernischen Landen stand mit der Musik überhaupt und mit der Blasmusik im besonderen.

Darüber weiß man nun zwar nicht gerade viel; denn die urkundlichen Nachrichten über dergleichen Dinge sind sehr dünn gesät. Recht viel auf einmal finden wir jedoch in der bernischen Staats-rechnung von 1536 mit der Abrechnung über den Hilfszug nach Genf und die, vorerst gar nicht beabsichtigte, Eroberung des Waadtlandes. Dieser Winter- und Vorfrühlingsfeldzug war in mehr als einer Hinsicht eigentümlich, ja einmalig.

Zum Kriegführen braucht es nach uralter Erfahrung Truppen und Geld. An Mannschaft hatte Bern keinen Mangel. Mit 6000 Mann, die man im eigenen Lande aufbot, und dazu mit 300 Freiwilligen, zur Hauptsache aus den reformierten Ständen der Eidgenossenschaft stammend, führte Bern den ganzen Feldzug durch. Die 6000 waren lauter kräftige, stattliche und (auf eigene Kosten) gut ausgerüstete Leute, kirchgemeindeweise von den «Gmeinsmannen» sorgsam ausgewählt. Denn es galt die Ehre Berns und die der Kirchhöre zugleich! Alle Wehrmänner waren mit Sackgeld wohlversehen... nur der Staat hatte kein Geld. Und doch war die Sache dringend: die

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befreundete Stadt Genf, von Savoyen arg bedrängt, hielt sehnsüchtig Ausschau nach den Helfern und Rettern vom Aarestrand.

Hilfe in der Geldnot fand Bern im befreundeten und verbündeten Basel. Innert fünf Tagen legten neunzehn Basler Private, Genossenschaften und Vereinigungen 15 810 Gulden zusammen; das sind ungefähr 2 1/2 Millionen heutige Franken. Selbstverständlich stellte Bern hiefür Schuldscheine aus, worin unter recht scharfen Bedingungen pünktliche Verzinsung versprochen wurde.

Die bernische Regierung hat dann diese Schulden nicht nur pünktlich verzinst, sondern auch rasch zurückbezahlt, und die Schuldscheine kamen denn auch, nach damaligem Brauche «mit der Schere quittiert», nämlich eingeschnitten, wieder nach Bern zurück; sie sind heute noch vorhanden. Der Feldzug in die Waadt brachte mehr ein, als er gekostet hatte; er steht hierin in der ganzen Kriegsgeschichte der Welt einzig da.

Müßten wir, angesichts der drückenden Finanzlage Berns beim Abmarsch der 6300 nach dem Genfersee, nicht annehmen, man habe auf alles Überflüssige verzichtet, auf Firlefanz, Klimbim und bloßen Schein? Dem ist aber, wie wir gleich sehen werden, nicht ganz so. Freilich: die Herren vom Hauptquartier und Armeestab mussten aus hölzernen Tellern essen und aus hölzernen Bechern trinken, für die man dem Drechsler etwa 50 heutige Franken bezahlt hatte. Zum Bedecken der Kriegsfuhrwerke, den «Reisewagen» (Fourgon) des Feldhauptmanns Hans Franz Nägeli inbegriffen, verwendete man zusammengenähte Felle, die der Schuhmacher Surmul (der schöne Name zeigt uns den Mann, wie er leibt und lebt) für etwa 80 Franken tüchtig mit Fett eingeschmiert hatte.

Aber wenn man auch beim toten Material auf billige und trotzdem währschafte Ware hielt, so sparten Regierung und Kriegsrat an denjenigen Dingen nicht, die zur «Repräsentation» gehörten, wie man heute nennt, oder zum «Puntenöri» (point d‘honneur), wie unsere Großväter zu sagen pflegten. Und zu diesen Dingen gehörten vor allem die Spielleute und Trompeter — notabene: nid zsämezellt! Denn das waren zweierlei Sorten von Krebsen — um mit Gotthelf zu reden.

Spielleute, das will heißen: Trommler und Pfeifer. Mit solchen war das bernische Heer, das gen «Jenff» auszog, reichlich versehen.

Sogar die «Schufellüten»-Kompagnie, Sappeure und Pioniere, hatte

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ihre eigenen Spielleute, denen die Regierung rotes und schwarzes Tuch für ihre Kleider schenkte. Das kostete allein über 600 Franken. Nehmen wir an, die dankbaren Spielleute hätten jeweilen zum Schneeschaufeln wacker aufgespielt, damit es «ringer» ging!

Als in eidgenössischen Gauen bekannt wurde, in Bern sei etwas im Tun und Werden, da strömten die Spielleute zahlreich nach der Mutzenstadt. Sie wurden dort willig aufgenommen und in weitherziger Weise gastfrei gehalten: nach erfolgter Anwerbung wies man die Musikanten jeweilen in ein Wirtshaus. Ihrer einige haben auf diese Weise im Zunfthanse zu Metzgern rund 650 Franken, ein anderer Trupp 400 Franken «verzehrt» — sagen wir‘s ehrlich: wohl zum größern Teil vertrunken. Noch trinkfester war eine dritte Marschkapelle, die bei Schmieden «zu Morgen», d. h. im Laufe des Vormittags und zum Mittagessen, rund 200 Franken vertat.

Als die bernische Armee abmarschiert war, trafen nachträglich noch tifige Ostschweizer Spielleute ein, die auch gerne einmal den sagenhaften Genfersee hätten sehen und La Côte-Wein trinken mögen. Die Regierung behielt sie aber in Bern zurück, weil alle andern Trommler und Pfeifer fort waren. Sie zahlte ihnen nach der Heimkehr der Sieger einen anständigen Lohn aus und gab ihnen erst noch einen freundlichen Brief an die Behörden ihrer Heimatstadt mit, worin zu lesen stand, man möge die Mannen nicht strafen, denn «sie hand min herren gedienet».

Aber nun zu den Berner Stadttrompetern!

Es waren ihrer zwei, mit Vornamen Hans und Michel geheißen. Nach dem Brauche jener Zeit, die noch persönliche Zunamen an Stelle der eigentlichen Familiennamen verwendete, kannte man die beiden unter dem Übernamen «Trummeter». Ob sie verwandt waren und wie nahe, wissen wir nicht. Michel war von Beruf Tapezierer und Posamenter; Hansens Beruf ist aus den Eintragungen nicht zu erfahren.

Nil zsämezellt! nämlich Trompeter und Spielleute, haben wir vorhin gesagt. Denn so ein Trompeter im Felde war, wenn er sein prunkhaftes Amtskleid trug, auf seinem Schimmel saß und sein Instrument mit dem angehängten Mutzenfähnchen schwenkte, ein sehr respektabler Herr, den man nur zu besonderen, ehrenvollen Aufgaben verwendete und der sich, wenn unbeschäftigt, stets in der Nähe des Oberkommandierenden aufhielt!

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Hans Trummeter — wohl der ältere der beiden überbrachte vor dem Abmarsch des bernischen Heeres dem Herzog von Savoyen, der damals in Turin weilte, den Absagebrief, will sagen die Kriegserklärung. Dieses wichtige Schriftstück, auf Pergament sauber und schön geschrieben, mit angehängtem stattlichem Stadtsiegel aus Bienenwachs, trug Hans nicht etwa in der Tasche, sondern für jedermann sichtbar auf einen gespaltenen Stecken aufgesteckt. So wollte es die Sitte... und wo Hans durchritt, murmelten sich die Leute zu: «Aha, Bern erklärt den Krieg — wem gilt es wohl? — ach, selbstverständlich Savoyen!»

Seit alten Zeiten galten die Spielleute, natürlich erst recht die vornehmen Trompeter, als unverletzlich. Es war zudem ein völkerrechtlich festgelegter Brauch, daß der Überbringer einer Kriegserklärung mit besonderer Höflichkeit behandelt wurde; namentlich hatte er Anspruch auf ein wertvolles Gastgeschenk vom Empfänger der schlimmen Botschaft. 0 ritterliches Mittelalter, wohin entschwandest du? Auf dem Hin- und Herwege mußte der Trompeter standesgemäß auftreten, durfte sich also in den Gasthöfen nur an den Herrentisch setzen und nur im besten verfügbaren Bette schlafen. Die Regierung vergütete dem Hans Trummeter seine daherigen Auslagen mit ungefähr 2400 heutigen Franken.

Michel Trummeter, der Tapezierer, reparierte unterdessen das «Venli», die kleinere Stadtfahne. Weil der «Jenfferzug» nicht als großes kriegerisches Unternehmen angesehen wurde und nur ein Teil der Wehrpflichtigen mobilisiert war, gab nämlich die Regierung dem Oberkommandierenden nicht die große Fahne, das «Panner», mit, sondern eben nur die kleine. Michel Trummeter versah das ehrwürdige, anscheinend vom Zahn der Zeit etwas mitgenommene Stück mit Schnüren und Zotten im Werte von etwa 40 Franken. Weiteren neuen Zierat lieferte der Eisenhändler.

Auf dem Marsch nach Genf wurde Michel Trummeter mit der «Ufforderung» der Schlösser und Städte beauftragt. Er hatte unter einem bestimmten Zeremoniell die stolzen Waadtländer Adeligen und die nicht minder selbstbewußten Stadtväter zur Übergabe einzuladen und in manchen Fällen eine «Ranzion» (Lösegeld, Kriegskontribution) zu vereinbaren, etwa auch gleich einzufordern. Durch Zahlung einer «Ranzion» sicherten sich die Betroffenen das Leben und das Eigentum; die durchmarschierenden oder einquartierten Berner Wehrmänner zahlten dann jeden Schoppen, jedes Weggli, jede Wurst und jeden Schuhbändel bar. Die «Ranzionen» machten schlußendlich mehr aus als die bei den Baslern aufgenommene Kriegsanleihe. Michel Trummeter erhielt nachher für seine Aufforderungsbemühungen etwa 800 Franken; dazu kamen weitere 300 Franken als Vergütung für selber ausgelegte Verpflegungskosten. Daneben genoß er selbstverständlich seine reglementarische, gutbemessene Besoldung ungeschmälert.

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